Wolfgang Mader wurde am 16. Januar 1949 in Magdeburg geboren. An seinem vierten Geburtstag wurde der Vater verhaftet und anschließend im Vorfeld des 17. Juni 1953 (Volksaufstand in der DDR) verurteilt. Der Vater war zum damaligen Zeitpunkt Leiter des Kinderheimes in Aschersleben/Westernberge. Er war aufgrund zunehmender Kritik an den politischen Verhältnissen in der DDR in Ungnade gefallen. Geburtstagsgäste waren u. a. sein „bester Freund" Willi Pfränger und dessen Ehefrau.
Anmerkung:
Was mein Vater nicht wusste: Pfränger war Ordensträger (Deutsches Kreuz in Gold) der Deutschen Wehrmacht. Er wurde wegen seiner Nazivergangenheit nach 1945 aus der SED ausgeschlossen, wurde später vom Geheimdienst der späteren DDR (Staatssicherheit) angeworben und konnte daraufhin später als (stellvertretender) Produktionsdirektor des VEB Dieselmotorenwerk Schönebeck Karriere machen. Seine nationalsozialistische Vergangenheit leugnete er später und stellte sich als Opfer der SED dar. Was mein Vater nicht wusste: Sein bester Freund war „IM Kaufmann“. Wolfgang Mader selbst wurde von „IM Kaufmann“ schwer misshandelt, weil er nicht heterosexuell leben wollte und sich von seiner Ehefrau trennen wollte, die selbst „inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit“ war und sich diesbezüglich an Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hatte.
Nach der Inhaftierung 1953 folgten Zersetzungsmaßnahmen gegen die Familie: Ohne Feststellung der Schuld erfolgten die sofortige fristlose Kündigung des Vaters aus dem Staatsdienst und der sofortige Ausschluss aus der Partei. Nach z. T. erfolgreicher Berufung erfolgte trotzdem die Degradierung zum Hilfsarbeiter. Ein halbes Jahr nach der Haft erlitt er den ersten Herzinfarkt. An den Folgen des dritten stirbt er im März 1969. Er erholte sich nie von den Verfolgungsmaßnahmen und Diskriminierungen, die bis 1959 andauerten. Der Mutter wurde zeitgleich mit der Inhaftierung des Mannes der Wohnraum fristlos gekündigt, gleichzeitig wurde ihr mit ihrem vierjährigen Sohn Wolfgang der Zuzug zu ihren Eltern in Schönebeck verweigert. Der Vater wurde straf-, verwaltungsrechtlich und beruflich 2002 posthum rehabilitiert, 33 Jahre nach seinem Tod und 49 Jahre nach den an ihm begangenen Verbrechen.
Seine Eltern ermöglichten Wolfgang ab 9 Jahren eine künstlerische Ausbildung in Klavier und Musiktheorie (Privatunterricht), mit 12 erhielt er erste regionale Preise und komponierte seine ersten Stücke. Er wurde als hochbegabt beurteilt. 1963 setzte er die künstlerische Ausbildung am Konservatorium fort. Zu Klavier und Musiktheorie kamen Geige und Komposition hinzu.
Aufgrund seines nonkonformen Verhaltens (keine Teilnahme am kommunistischen Jugendleben (GST, Pioniere oder FDJ-Lager), Westkontakte, Ablehnung der Militarisierung, Totalverweigerer des Wehrdienstes, Sohn eines „Staatsfeindes”, aktives Betreiben von Jazz- und Beatmusik, Schallplatteneinfuhr aus dem westlichen Ausland, Handeln westlicher Musik auf dem Schwarzmarkt) war er bereits als Schüler von der Staatssicherheit als Staatsfeind registriert. Grundlage hierfür war der Befehl 11/66 des MfS - gegen „negativ feindliche Jugendliche”, deren Handlungen eingeschränkt bzw. unterbunden werden sollten. Solche Handlungen waren auch Begründung für die Einweisung in einen Jugendwerkhof. Die Eltern stellten sich jedoch schützend vor ihn.
Die Zulassung zum Abitur wurde verweigert, statt dessen: Zwangslehre in der „sozialistischen Produktion”. In der Lehre verweigerte er die vormilitärische Ausbildung und 1966 den Wehrdienst aufgrund der sexuellen Orientierung total. Auf Weisung des MfS (Abt. XX) erfolgten medizinische Zwangsmaßnahmen (ambulant) in der Medizinischen Akademie Magdeburg. Als Minderjähriger wurde er ohne Information der Eltern behandelt.
Am 15. Januar 1967 wurde der Personalausweis wegen Tragens langer Haare nach einem musikalischen Auftritt ersatzlos entzogen. Die Beschwerde des Vaters beim Chef der Volkspolizei Magdeburg wurde zur Kenntnis genommen. 1968 wurde ein Spiel- und Auftrittsverbot wegen Spielens „verbotener Einfuhr” (z. B „San Francisco” von Scott McKenzie und „Massachusetts” von den Bee Gees) mit der Begründung „Verherrlichung westlicher Unkultur“ verhängt.
1972 legte er erfolgreich das Abitur auf dem 2. Bildungsweg ab.
Da der Betrieb eine Delegierung zum Musikstudium verweigerte, begann er 1976 eine freiberufliche Tätigkeit als Pianist, um als „freier Bewerber“ studieren zu können.
1978 bestand er die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik „Franz Liszt” in Weimar. Das Studium begann 1979. Das Staatsexamen bestand er 1983 (Klavier und Musikpädagogik) mit „gutem Erfolg” und 1985 (Komposition/Tonsatz) mit „sehr gutem Erfolg”. Bereits 1979 begann er eine Lehrtätigkeit auf Honorarbasis. 1982 erfolgte eine Festanstellung an einer staatlichen Musikschule als Musikpädagoge, stellvertretender Direktor und 1983 bis 1984 als Direktor.
Ab 1983/84 verschärfte das MfS die Maßnahmen gegen Minderheiten und Oppositionelle (Situation in Polen, Beginn des Zusammenbruchs des kommunistischen Lagers). Sie verfolgte Personen, die sich in Schlüsselpositionen der staatlichen Leitung, pädagogischen und anderen gesellschaftlichen Bereichen befanden, und deren Zuverlässigkeit im Sinne des SED-Regimes aufgrund des bisherigen Gesamtverhaltens in Frage stand (Wehrdienstverweigerer, Oppositionelle, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Sinti etc.). Er erhielt die Personenkennziffer 4.1.1. des „Vorbeugekomplexes für die Einweisung in ein Isolierungslager“. Die Begründung für die Isolierung und Zersetzung dieser Personen lautete: „Personen, die unter Verdacht stehen, staatsfeindliche Handlungen gegen die DDR zu begehen und die als oppositionelle Führungskräfte in Erscheinung treten können“.
1987 erstattete er Strafanzeige gegen das MfS und drohte, die ihm nun bekannten Staatsgeheimnisse, von denen er als Leiter Sachkenntnis erhielt, z. B. über Menschenrechtsverletzungen in der DDR, im Westen bekannt zu machen. Die Staatsanwaltschaft schlug 1987 das Verfahren nieder und leistete damit Vorschub für die Festnahme. Im Dezember 1987 erfolgte die Aberkennung der staatsbürgerlichen Rechte. 1988 entzog er sich der Festnahme durch den Staatssicherheitsdienst und erneuter Folter und Entfernung aus dem Amt durch einen Suizidversuch. Er machte die Hintergründe der Verzweiflungstat in einer letzten Willenserklärung an die Volkskammer bekannt und verfügte, falls der Suizid fehlschlüge, dass die Klinik keine Behandlungen bezüglich des Geschlechts vornehmen dürfe. Wenige Monate später (Dezember 1988) änderte die damals noch bestehende Volkskammer die Verfassung in Bezug auf Minderheiten und Menschenrechte. Durch die Folgen der staatlichen Diskriminierung und Verfolgung besteht eine Posttraumatische Belastungsstörung, die behandelt wird.
Die gesellschaftlichen Verhältnisse im SED-Regime zwangen ihn zu einem demoralisierenden Doppelleben. Aus einer Beziehung kam Tochter Annett 1970 zur Welt. Wegen Kindesmisshandlung wurde der Mutter (die übrigens MfS-Kontakte hatte) das Erziehungsrecht entzogen und dem Vater zugesprochen. In der Pubertät erkannte Annett ihre eigene lesbische Veranlagung. Gleichzeitig erlebte sie hautnah die Diskriminierung und Schikane ihres Vaters durch den Staat. Sie selbst bekam Schuldgefühle, weil sie selbst vom MfS gegen ihren Vater aufgewiegelt wurde. Ihre sexuelle Orientierung hielt sie aus Sicherheitsgründen geheim. Sobald sie die Volljährigkeit erreicht hatte, ging sie nach Paris. Sie outete sich 2005 gegenüber dem Vater, brach jedoch jeden Kontakt ab. Im Juni 2012 wurde sie tot in ihrer Wohnung in Berlin aufgefunden (Todeszeitraum zwischen Februar und Juni 2012, Todesursache unbekannt).
Zum DDR-Unrecht zählten u. a. auch Tatbestände, denen er zum Opfer fiel:
Jeder einzelne dieser Tatbestände war ein intensiver Verfolgungsgrund. Allein auf den letzten Punkt stand die Todesstrafe, die bis 1987 im SED Regime galt, bzw. Liquidierung der Person. Die Strafverfolgung erfolgte entsprechend der Richtlinie 1/76, Verfügung und Mitteilungen des Gesundheitswesens der DDR vom 06. Mai 1971, des Befehls 11/66, Vorbeugekomplex 1986, die als außerrechtliche politische Verfolgung praktiziert wurde. Keines der Opfer erhielt eine rechtliche Grundlage für die Maßnahmen (weder Erfassung, Urteil, noch Widerspruchsmöglichkeit, Verteidigung, Eintragung in ein Strafregister etc.). Die Zugehörigkeit zu einer „staatsfeindlichen Gruppe” war eine Verurteilung. Die Menschenrechtsverletzungen wurden gezielt als Staatsgeheimnis betrieben, um die Opfer zum Schweigen zu bringen, diese zeitlebens zu stigmatisieren oder sich ihrer zu entledigen.
Abb.: Kopie aus den Stasiunterlagen über Wolfgang Mader
2003 stellte er einen Forschungsantrag bei der Gauck-Behörde über die Dis-kriminierung und Misshandlung aufgrund der sexuellen Orientierung durch den Staatssicherheitsdienst und erhielt entsprechende Resultate. Ein Parallel-fall hierzu ist der Vater des Landesverbandes für Schwule und Lesben, Eddie Stapel, der von der Staatssicherheit in dem operativen Vorgang „After Shave“ bearbeitet wurde. Auch bei ihm wurden medizinische Unterlagen manipuliert. Aufgrund seiner Aktivitäten plante das MfS in Absprache mit dem Arzt „IM Pe-ters“ über die Möglichkeit der Tötung. Auch Wolfgang Mader erlebte neben Zersetzungsmaßnahmen zwei Anschläge.
Die Verfolgung war nach geltendem DDR–Recht ein Straftatbestand. Sie ver-stieß gegen die Proklamation Nr. 3 vom 20. Oktober 1945 aufgrund der sexu-ellen Orientierung, gegen das Nürnberger Ärzteurteil, und dem Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nürnberger Recht wurde offiziell in DDR–Recht umgesetzt – aber nicht eingehalten.
Neben seiner Tätigkeit als Dozent (Musikpädagoge) engagiert er sich für Am-nesty International und andere Menschenrechtsorganisationen. Im Rahmen politischer Bildung hat er ein Zeitzeugeninterview im Juli 2005 über Psychiat-riemissbrauch in der ehemaligen DDR gewährt. Es wurde an drei Tagen in der Wohnung von Wolfgang Mader aufgezeichnet (8 Stunden insgesamt) und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zur Verfügung gestellt.
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